Interview mit Jörg Wontorra
Wir treffen Jörg Wontorra an seinem Rückzugsort Marbella in einer urigen Tapas-Bar zum Interview und wollen von der Moderatoren-Legende wissen, wie er die Chancen der Deutschen Fußballnationalmannschaft bei der kommenden Heim-EM einschätzt.
Darüber hinaus fragen wir den gebürtigen Lübecker, wie er die Entwicklung der Fußball-Bundesliga beurteilt, was er von seinem Herzensclub Werder Bremen in Zukunft erwartet und welche Ziele der 75-Jährige in den kommenden Jahren beruflich und privat verfolgt.
Herr Wontorra, für die Dortmunder Nationalspieler heißt es nach dem verlorenen Champions-League-Finale kräftig durchschütteln, denn am kommenden Freitag beginnt die heiß ersehnte EM in Deutschland. Werden sie vor Ort sein? Was machen Sie zur EM? Haben Sie ein Engagement?
Ich bin während der gesamten EM auf einem Kreuzfahrtschiff, der Europa 2. Dort wird es jeden Abend eine Talkshow geben mit Prominenten, wo wir die Spiele für die Passagiere kommentieren, mit Vorbericht, Halbzeitanalyse und natürlich auch mit Einschätzungen nach den Spielen. Das mache ich bereits zum achten Mal und macht mir richtig viel Spaß,
Wie beurteilen sie die Entwicklung der Nationalmannschaft in der letzten Zeit, vor allem natürlich jetzt unter Julian Nagelsmann?
Ich denke Nagelsmann hat es sehr geschickt gemacht. Er hat einen Kader ausgewählt, in dem man so 15, 16 Stammspieler hat. Die anderen wissen von Vorhinein, dass sie nur Backup sind. Daher wird es zu weniger Reibereien kommen und so die Gemeinschaft stärken. Und das ist ein wichtiger Punkt bei solchen Turnieren, wo man über vier Wochen zusammen ist.
Die DFB-Elf hat in den beiden Testspielen vor der EM 0:0 gegen die Ukraine gespielt und am Freitag glücklich mit 2:1 gegen Griechenland gewonnen. Was für eine Aussagekraft haben diese Ergebnisse für die EM und was erwarten Sie von der Nationalelf am kommenden Freitag im Eröffnungsspiel gegen Schottland (21:00 Uhr ZDF/Magenta TV)?
Wenn man der Legende glauben darf, dann folgt ja einer durchwachsenen Generalprobe immer eine glanzvolle Premiere. So hoffe ich, dass das am Freitag gegen Schottland dann auch der Fall sein wird und die deutsche Mannschaft für Euphorie im eigenen Land sorgt. Insgesamt meine ich, dass das ein oder andere noch fehlt. Kai Havertz ist zum Beispiel für mich kein klassischer Mittelstürmer wie Niklas Füllkrug. Da muss Nagelsmann im Verlauf des Turniers gegebenenfalls noch umdenken.
Gehört Deutschland für Sie zu den Top-Favoriten? Wer noch?
Eine EM im eigenen Land ist ja immer auch eine zusätzliche Motivationsspritze. Daher denke ich schon, dass es Deutschland weit schaffen kann. Ob es dann zum Titel reicht, weiß ich nicht. Im Viertelfinale wartet eventuell ja Italien oder Spanien. Das wäre dann schon ein Brocken, da kommt es auf die Tagesform an. Daher denke ich, dass wie bei der Heim-WM 2006 das Erreichen eines Halbfinales schon nicht schlecht wäre. Zu meinen persönlichen Favoriten zählen Spanien und England. Besonders die Letzt genannten haben ein starkes Ensemble dieses Mal, gespickt mit Superstars wie Bellingham oder Kane.
Blicken wir nochmal kurz zurück auf die abgelaufene Bundesligasaison. Es war ja einiges geboten. Bayern wurde nicht Meister, sondern Xabi Alonsos Leverkusen. Ein Wort zu den Leistungen des Spaniers?
Zum einen war es die verdienteste Meisterschaft seit Jahren. Ich hätte vor der Saison niemals gedacht, dass Xabi Alonso so gut weiterentwickeln kann. Vor Leverkusen war er nur Jugendtrainer und hat eine Spielzeit die zweite Mannschaft von Real Sociedad San Sebastián gecoacht, aber so richtig Erfahrung mit einer Profimannschaft hatte der Baske ja nicht gehabt. Es war ein mutiger Zug damals von Fernando Carro, der übrigens in Marbella auch ein Feriendomizil hat, Xabi Alonso zu verpflichten. Ich war da anfangs schon skeptisch und dachte, es wäre eher eine Freundschafts-Verpflichtung, weil die beiden sich gut kannten. Aber die Leistung von Alonso dieses Jahr war natürlich herausragend. Gleichzeit hatte Leverkusen aber auch auf dem Transfermarkt in den Goldtopf gegriffen. Vor allem mit Granit Xhaka, aber auch mit Grimaldo, Boniface oder Jonas Hofmann konnte man sich auf gezielten Positionen verbessern.
Wie sehen sie die Entwicklung bei ihrem Heimatclub Werder Bremen, bei dem sie ja von 1999 bis 2003 im Aufsichtsrat saßen?
Grundsätzlich haben die Bremer es in den letzten Jahren ganz gut gemacht. Diese Saison war allerdings mehr drin. Mit einem Sieg am letzten Spieltag gegen Gladbach hätte man sich als Tabellenachter sogar noch für Europa qualifizieren können. Gegen die Aufsteiger hat man oft gepatzt. Ich hatte bei Werder dieses Jahr immer so ein bisschen das Gefühl, dass wenn sie ganz dicht dran waren, sie die Angst vor der eigenen Courage ausbremste. Schlüsselspiele gingen so leider verloren.
Im Jahr 2020 beendeten Sie Ihre Tätigkeit als Moderator beim Pay-TV-Sender Sky. Aus Medienberichten geht hervor, dass Sie sich kritisch über die zunehmende Kontrolle der Interviewpartner durch Vereine und Verbände äußern.
Ich glaube, dass meine Nachfolger es wesentlich schwerer haben, als ich. Früher konnte ich selbst bei Werder-Manager Willi Lemke anrufen und ihn um ein Interview mit Klaus Allofs bitten. Heutzutage kontrollieren die Vereine sehr, wer wann mit wem spricht. Meistens werden sogar Spieler strategisch zugewiesen, ohne dass die Journalisten selber wählen können. Das spricht meines Erachtens nach auch gegen die Pressefreiheit und führt oft zu langweiligen und eintönigen Antworten. Im Handball oder im Basketball ist das zum Beispiel ganz anders.
Planen Sie in Deutschland eine neue Show oder ähnliches?
Ich werde jetzt 76 Jahre alt und finde, es reicht dann auch (lacht). Ich hatte ein sehr erfülltes Berufsleben hinter mir, das war wunderschön. Die Erinnerungen sind ausnahmslos positiv, so dass ich nicht das Bedürfnis verspüre, noch etwas nachholen zu müssen. Außerdem möchte ich noch öfter in Marbella sein und die schönste Zeit des Jahres hier vor Ort, nämlich den Frühling und den Herbst, verbringen.
Ihre Tochter Laura hat es geschafft, in die großen Fußstapfen ihres Vaters zu treten und gehört mittlerweile zu den beliebtesten Sportmoderatoren in Deutschland. Wie beurteilen Sie die Arbeit Ihrer Tochter als kritischer Vater und wie stolz macht Sie der Erfolg von Laura?
Ich bin wirklich sehr stolz. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis und telefonieren oft miteinander. Am Anfang habe ich sie auch kritisiert, klar. Wenn ich etwas gut fand, bekam sie eine Nachricht geschickt. Wenn etwas nicht so gut war, dann habe ich immer angerufen (lacht). Es gab aber nie Streit. Sie hat Dinge von mir immer angenommen oder mir den Hintergrund erklärt, was ich dann natürlich auch verstanden habe.
Sie verbringen inzwischen schon seit über 30 Jahren regelmäßig mehrere Monate im Jahr in Marbella. Warum hat es Sie damals in den sonnigen Süden verschlagen? Was gefällt Ihnen hier am besten?
Das erste Mal kam ich 1986 nach Marbella, direkt nach der Fußball-WM. Da waren Erich Laaser und ich bei Klaus Hofsaess auf der gerade gegründeten Tennisakademie. Ich habe mich spontan in diesen Landstrich verliebt und 1993 mein Haus gekauft. Es ist für mich auch ein bisschen Heimat geworden. Ich habe mir in kurzer Zeit einen Freundes- und Bekanntenkreis hier aufgebaut, meine Stammrestaurants etc. gefunden und mich daher schnell sehr wohl gefühlt. Natürlich spielen die über 300 Sonnentage im Jahr auch eine große Rolle, keine Frage. Und zum dritten bin ich auch leidenschaftlicher Golfer, und das kann man an der sogenannten Costa del Golf eben sehr gut und meistens noch zu humanen Preisen.
In Marbella veranstalten Sie jedes Jahr den sogenannten GOFUS Medien Cup bei dem ehemalige deutsche Fußballstars mit Journalisten und Sponsoren zusammen für den guten Zweck golfen. Im vergangenen Jahr kamen immerhin 66.000 Euro für die Initiative PLATZ DA! sowie für die Hansestiftung Jörg Wontorra zusammen.
Wir haben den Charity-Golf-Event bereits 23 Mal ausgetragen, dieses Jahr wird es die 24. Auflage des GOFUS Medien Cup sein. Bis zum Jubiläum 2025 möchte ich es noch machen, dann stelle ich mir vor, die Organisation meiner Tochter Laura zu überlassen. Mal sehen, ob sie es beruflich dann unter einen Hut bekommt. Dieses Jahr wird das Turnier übrigens vom 14. bis 18. November in und um Marbella stattfinden.